Disco mit Tradition: die Boa
Spätestens mit zwanzig gilt eine Disco eigentlich als Methusalem. Die Boa, einer der bekanntesten Stuttgarter Clubs, feierte Anfang 2007 sogar schon den Dreißigsten. In der Branche ein seltenes Jubiläum. Boris Becker, Verona Pooth, Liza Minelli und sogar ein echter Prinz haben hier schon an ihren Cocktails genippt – ein Text aus der StZ, der zum 30. Geburtstag erschienen war.
Von Daniela Eberhardt
Am Morgen danach bleibt wenig übrig vom Glamour. Unterm Kunstlicht wirkt der fensterlose Raum noch kleiner. Der Rauch vieler Jahre hängt in der dunkelbraunen Decke. Er hat sich als Grauschleier auf die bunten Bodenfliesen gelegt und das Violett und Blutrot der Wände übertüncht.
An den Beinen der Barhocker haben unzählige wippende Fersen viele kleine Kerben hinterlassen. Die Glasscheibe vor den Plattentellern trübt den Blick auf die leere Tanzfläche mit den drei Metallpodesten und den Minibühnen für so manche Selbstdarsteller. Vom Rausch der vergangenen Nacht erzählt nur die lange Reihe der Veuve-Cliquot-Flaschen hinter der Bar. Am Tag fällt es schwer zu glauben, dass hier in der Boa, Tübinger Straße 12 bis 16, erster Stock, schon Prinz Albert und Liza Minelli gefeiert haben.
Haben sie aber. Irgendwann in den neunziger Jahren hatte sich in der Disco eine Sicherheitsfirma gemeldet. "Wir haben da einen wichtigen Gast, kann der bei Ihnen ungestört bleiben?" Ja klar, kein Problem, lautete die Antwort. Keiner in der Boa wusste, wer da kommen würde. Plötzlich erschien der monegassische Thronfolger mit zwei Bodyguards, setzte sich an die Bar, und "machte eine schöne Party". Das erzählt Werner Find, Schlangenmann der ersten Stunde und heute noch Inhaber und Geschäftsführer der Boa. Keine Damenbegleitung für den mondänen Prinzen? Kein noch so klitzekleiner Flirt? Find winkt ab. "So einer trinkt Champagner und ist zufrieden."
Auch Verona Feldbusch hat in der Boa vorbeigeschaut. Damals war sie noch Mitglied der Band Chocolate, und es gab in ihrem Leben noch keinen Bohlen und erst recht keinen Herrn Pooth. "Die Mädels sind nach einem Auftritt hier bei mir noch ein bisschen rumgehüpft", sagt Find, der viele Begegnungen in den vergangenen dreißig Jahren hatte. Boris Becker wäre fast nicht in die Disco gelassen worden. Der Inhaber selbst hatte da einen Burschen vor der Tür gesehen und entschieden: "Der kommt mir hier nicht rein, so jung, und dann noch im Trainingsanzügle und mit Turnschuh." Turnschuhe waren damals in den achtziger Jahren noch ein echtes K.-o.-Kriterium. Nur der Fürsprache eines damals ungleich bekannteren Tennisspielers von der Waldau hatte es das "Bobbele" zu verdanken, dass der strenge Boss am Ende Gnade walten ließ. Drinnen war der damals 16-jährige Tennisstar dann ganz schüchtern.
Liza Minelli in Schampus-Launen
Auch Ralf Schumacher zog es vor, "in der Ecke zu hocken". Das meint Find nicht vorwurfsvoll. Er ist bloß ehrlich. Nur wenn er an Liza Minelli denkt, wird ihm heute noch warm ums Herz. "Die hat auf der Tanzfläche herumgetobt und mit Champagner um sich geschmissen." In ihrem Fall bedauert er dann doch, dass er von seinen VIP-Gästen nie Fotos gemacht hat. "Wir waren sehr diskret."
Natürlich kam auch die Hautevolee von Stuttgart, damals Ende der siebziger bis Ende der achtziger Jahre. In die Boa ging die schicke Jugend in Streifenhemden und Karottenhosen. Unter den legendären blauen Kordeln, die zwecks Intimität oder wozu auch immer von der Decke baumelten, wog man die Chancen des Abends ab und versuchte, den Kellnern zu entkommen. Der Eintritt war frei, aber es herrschte Verzehrzwang, und die Cola war teuer. "Und was trinksch du?" Der Kellner fragte nicht, er drohte. Es gab aber auch die anderen. Wer es sich leisten konnte oder wollte, der hatte bei der Bardame seines Vertrauens eine Flasche "Jackie" deponiert.
Vor dem Abtanzen: der Gang zum Büffet
Und nun haben manche Gäste der ersten Jahre selbst Kinder im ausgehfähigen Alter. Zur After Work Party am Donnerstag steht teilweise schon die zweite Generation der Boa-Gänger vor der Treppe hoch zum ersten Stock. Bei der Fete nach Büroschluss geht es in dem ohnehin nicht allzu großen Club zu wie früher im Partykeller. Vor dem Abtanzen holt man sich erst mal einen Nudelsalat oder ein Fleischküchle vom Büfett, das hinten bei der kleinen Bar aufgebaut ist. "Welcome to the music" - willkommen zur Musik, heißt es in einer der angesagtesten Discotheken der Stadt seit 1977 unverdrossen.
Die Boa hat das Oz in der Stadtmitte überlebt, bei dem Find anfangs die Finger mit im Spiel hatte, dann das M1 im Südmilch-Areal und viele Nachnachfolger. Der Club rühmt sich bis heute als technofreie Zone, und der spezielle Boa-Sound versteht sich als Gegenkonzert zum (Gleich-)Klang der Stadt.
Der Traum des Grundstückmaklers
Werner Find, den seine Freunde wegen seiner Feinrippaversion "Sloggi" nennen, hat sich mit der Disco einen Wunschtraum erfüllt. Das mag abgeschmackt klingen. Er meint das aber so. Gelernt hat der heute 55-Jährige etwas ganz Seriöses: Grundstücks- und Immobilienkaufmann. Beim Onkel hat er geschafft, und nebenher als DJ gejobbt, im Club Schmiden, auch so ein legendärer Laden. Über einen Freund tat sich da die Möglichkeit auf, einen ehemaligen Lagerraum des Tuchhauses Scheid zu mieten und selbst eine Disco aufzumachen. Ihr Lokal haben die Jungunternehmer, neben Find waren das Jürgen Schumm und Werner Armbruster, selbst hergerichtet. Allein der Einbau eines Treppenhauses kostete sie damals 200.000 Mark. "Das war finanziell Oberkante", sagt Find. Das frühe Aus drohte aber aus anderem Grund: die Stadt gewährte erst mal nur eine Konzession unter der Woche bis Mitternacht und am Wochenende bis ein Uhr. Nach einem halben Jahr des Wohlverhaltens durfte die Boa dann bis zwei Uhr morgens öffnen" heute, wo vor ein Uhr keine gute Party beginnt, scheint das unvorstellbar.
Die Boa hat seitdem "Höhen und Tiefen" erlebt, wie Werner Find sagt. Die neunziger Jahre glichen eher einem Tal. 1999 wurde die Disco komplett umgebaut, heute retten ein Zielgruppenmix und nur einzelne offene Tage den Betrieb. Der Montag hat als Klassiker überlebt. Am Donnerstag läuft seit sieben Jahren die After Work Party und läuft und läuft. Dazu kommen der Freitag mit Schülerfeten und der Samstag mit Partys, die unter einem Thema stehen. Find ist jeden Abend da, auch wenn die Gäste mindestens eine Generation jünger sind. "Mir macht's noch Spät", behauptet er trotzig, "und solange die nicht sagen, was will der alte Säckel hier".